Wie nah sich Glück und Leid sind..

Die berührende Geschichte von Sternenmama Anna (Name von der Redaktion geändert) zeigt uns, wie nah Glück und Leid beieinander liegen können. Von ihrer Familie und ihren Freunden wurde sie in der dunkelsten Zeit ihres Lebens aufgefangen und ist heute trotz aller Trauer dankbar – dankbar dafür, eine Mama von zwei wundervollen Kindern zu sein, einen starken Partner an ihrer Seite zu haben und zu verstehen, was im Leben wirklich zählt.
23 Juli 2025
2407002 KHDO 061 Copyright@Artofphotography At
© Ingo Peter

„Bin ich froh, dass es bei mir nur eins war“, „O Gott Zwillinge“, „Jetzt ist dein Leben vorbei“ - solche Aussagen bekam ich von einigen Leuten zu hören, als sie erfuhren, dass ich mit Zwillingen schwanger war. Und nein, wir sind nicht erschrocken, wir freuten uns von Anfang an sehr und waren überglücklich.

Bis auf Müdigkeit, leichte Übelkeit und eine Blasenentzündung, welche gleich mit Antibiotika behandelt wurde, hatte ich keinerlei Beschwerden in der Schwangerschaft. Wegen meiner Arbeit in der Pflege und der Zwillingsschwangerschaft, konnte ich bereits in der 13. SSW in frühzeitigen Mutterschutz gehen. Ich genoss die Zeit zu Hause und bereitete mich auf die kommende Zeit vor.

Beim Organscreening in der 22. SSW bemerkte die Ärztin, dass der Gebärmutterhals schon viel zu kurz, nämlich nur noch 11 mm, war. Sie überwies mich sofort ins Krankenhaus Dornbirn. Dort wurde die Zerfixinsuffizienz bestätigt. Die Ärztin erklärte mir, dass eine Infektion, eine Gewebeschwäche oder die Zwillingsschwangerschaft
ein Grund für die Verkürzung sein könnten und dass eine Cerclage (operativer Verschluss des Gebärmutterhalses) nötig ist, da sonst eine Frühgeburt drohte.

Es wurden Abstriche gemacht und Blut abgenommen, da nur operiert werden konnte, wenn keine Infektion besteht. Ich wurde stationär aufgenommen und hatte relative Bettruhe – nur Duschen und WC-Gänge waren erlaubt. Ich war guter Dinge und froh, dass die Gebärmutterhalsverkürzung bemerkt wurde. Ich hatte keine Beschwerden und bekam täglich Besuch von lieben Menschen. Auch meine Zimmernachbarin war sehr nett und munterte mich täglich auf. Nach fünf Tagen, kam das Ergebnis der Abstriche – keine Infektion. Die Operation wurde auf den nächsten Tag um 08.00 Uhr geplant.

In dieser Nacht bekam ich plötzlich starke Wehen. Ich bekam eine Tablette dagegen. Da die Wehen nach einer halben Stunde nicht weniger wurden, bekam ich noch eine zweite. Ansonsten könne man in dieser Schwangerschaftswoche nichts gegen die Wehen machen. Ich solle klingeln, wenn ich die Schmerzen nicht mehr aushalte und
am Morgen werde man dann weitersehen, sagte die Krankenschwester zu mir. Ich war sehr verzweifelt und hilflos.


Plötzlich kamen dann doch zwei Ärztinnen ins Zimmer, nahmen mich mit in die Ambulanz und untersuchten mich - eine Fruchtblase war bereits sichtbar und der Gebärmutterhals leicht offen. Die Wehen haben mittlerweile nachgelassen. Um 4 Uhr in der Nacht wurde eine Notcerclage vom Primar gemacht. Die Fruchtblase konnte ohne Beschädigung zurückgeschoben und der Gebärmutterhals verschlossen werden.


Am Nachmittag wollte die Ärztin noch ein Pessar (med. Hilfsmittel) einsetzen, um den Gebärmutterhals zusätzlich zu stützen, doch der Muttermund hat sich bereits wieder geöffnet und die Fruchtblase war wieder sichtbar. Es musste noch einmal operiert werden. Ab jetzt hatte ich strikte Bettruhe und durfte nicht mehr aufstehen. Zwei Tage
später der nächste Schock – Fruchtwasser trat aus und ich hatte immer wieder leichte Wehen.

Mein Partner hatte ein Gespräch mit dem Primar der Kinderintensivstation in Feldkirch geführt. Ich konnte über das Handy beim Gespräch anwesend sein. Wir wurden über die weiteren möglichen Schritte informiert. Es wurde vereinbart, dass in
der SSW 23+5/6 die Lungenreife verabreicht wird und wir in der SSW 24+0 im LKH Feldkirch aufgenommen werden. Davor könne nichts für unsere Kinder gemacht werden.

Es tat gut zu wissen, dass viele Menschen an uns dachten.

Wir wussten, dass es gut oder schlecht ausgehen konnte und nun von Tag zu Tag geschaut werden muss, was passiert. Wir versuchten immer positiv zu denken, auch wenn wir fast verzweifelten. Viele Nachrichten mit guten Wünschen erreichten uns. Es tat gut zu wissen, dass viele Menschen an uns dachten. Auch von den Krankenhausseelsorgern wurde ich öfters besucht.


Das ständige Liegen machte mir nichts aus. Für meine Kinder wäre ich noch monatelang im Bett gelegen. Ich konnte gut schlafen und vertrieb mir die Zeit mit stricken - „Pötschle“ für unsere Zwillinge. Bis zum Schluss glaubte ich an das Gute und betete, dass die Babys noch ein paar Tage im Bauch bleiben. Wir würden dann nach Feldkirch fahren und dort medizinische Hilfe bekommen

Leider musste die Cerclage an 23+0 wegen Blutungen, Wehen und erhöhten Entzündungswerten geöffnet werden. Uns wurde mitgeteilt, dass die Geburt wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten ist. Es wurde uns zu einer natürlichen Geburt geraten. Ich hatte Angst und wusste nicht, wie ich das schaffen soll. Ab diesem
Zeitpunkt durfte mein Partner auch im Krankenhaus bleiben. Darüber war ich sehr dankbar. Er brachte die Babydecke, die ich zuvor angefangen habe zu stricken, mit ins Krankenhaus und ich machte sie fertig.

Die Ärztin … setzte sich zu mir und sagte, dass ich mich nun von den Zweien verabschieden und sie gehen lassen muss.

Die Krankenschwester informierte uns über die Möglichkeit der Sternenkindfotografie und fragte, ob sie den Verein kontaktieren soll. Ich kannte solche Bilder von einer Freundin, die vor einem Jahr ihr Baby gehen lassen musste. Ich wusste sofort, dass ich auch solche Erinnerungsfotos von unseren Kindern haben möchte und wir
stimmten zu.

Die Geburt zögerte sich über zwei Tage hin, da die Wehen immer wieder stoppten. Ich bekam alle möglichen Schmerzmittel und eine PDA. Die Ärztin, die uns während dem ganzen Krankenhausaufenthalt begleitet hat, setzte sich zu mir und sagte, dass
ich mich nun von den Zweien verabschieden und sie gehen lassen muss, ansonsten klappe es nicht mit der Geburt. Es müsse jetzt voran gehen, um mein Leben nicht zu gefährden.

Ich hatte noch nie so eine Liebe verspürt.

Mit viel Unterstützung von meinem Partner, der Ärztin und der Hebamme brachte ich schließlich in der SSW 23+2 am Nachmittag unsere wunderschönen Zwillinge, mit 568 und 548 Gramm zur Welt. Dies war der schlimmste und zugleich schönste Moment in meinem Leben. Ich hatte noch nie so eine Liebe verspürt. Mir wurde bewusst, ich bin eine Mama, auch wenn unsere Kinder nicht überleben werden.

Die Kinder wurden mir gleich auf die Brust gelegt. Da sich die Plazenta von meinem Sohn schon frühzeitig gelöst hatte, war er bereits bei der Geburt tot, meine Tochter starb nach zwei Stunden in meinen Armen. Unsere Hebamme begleitete uns sehr einfühlsam und kompetent. Sie massierte mir stundenlang den Bauch, fand immer die passenden Worte und versorgte uns mit einigen Krügen Tee mit Holdersaft.


Der Fotograf - Ingo - war schon im Krankenhaus. Als wir bereit waren, kam er in den Kreißsaal, um unsere Babys und uns als Familie zu fotografieren. Die Zwillinge wurden gemessen und gewogen, wir machten Fußabdrücke und wickelten sie in meine Decke. Es war sehr traurig und wir weinten viel. Ingo gab uns die Zeit die wir brauchten und ging auf unsere Wünsche ein. Auch mit meinem Handy habe ich noch
ganz viele Fotos gemacht.

Beim Hinausgehen drehte ich mich noch einmal um und dachten mir: Zum Glück sind sie zu zweit.

Danach kam die Krankenhausseelsorgerin und machte eine sehr schöne
Namensgebung. Es wurde uns so viel Zeit gelassen, wie wir brauchten. 6 Stunden nach der Geburt legten wir unsere Kinder in ein Beistellbettchen und entschieden uns, nach Hause zu gehen. Es war sehr schwer diesen Schritt zu machen und unsere Kinder im Krankenhaus zurück zu lassen. Beim Hinausgehen drehte ich mich
noch einmal um und dachten mir:“ Zum Glück sind sie zu zweit.“


Wir fühlten uns im Krankenhaus sehr gut aufgehoben, von allen sehr gut betreut und wir können heute positiv an diese Zeit zurückdenken. Dafür sind wir sehr dankbar.

Zuhause brach die Welt für uns erst richtig zusammen. Milcheinschuss, Wochenfluss, ein leeres Kinderzimmer. Es fühlte sich alles leer an. Standesamt, Kontrolle im Krankenhaus, Hebammenbegleitung – ich funktionierte einfach nur, aber realisierte noch nicht, was passiert ist.


Vorwürfe und die ständige Frage nach dem Warum gingen durch meinen Kopf. Jede Sekunde meiner Schwangerschaft bin ich in Gedanken durchgegangen. Warum mussten unsere gesunden Kinder sterben? Was hätte ich anders machen können? Wieso hat mein Körper versagt? Was wäre, wenn…? Man sucht nach Antworten, möchte dringend irgendwas oder irgendwen finden, dem man die Schuld dafür geben kann, wo man die Wut und Verzweiflung loswird.


Wir waren froh um unsere Familie und Freunde, die uns unterstützten und besuchten. Besonders dankbar bin ich zwei Freundinnen, mit denen ich das selbe Schicksal teile und die mir sehr geholfen und viele Fragen beantwortet haben.


Da die Babys über 500 g hatten, hatte ich 12 Wochen Mutterschutz.

Da Schwangerschaftsverluste immer noch ein riesiges Tabuthema in unsere Gesellschaft sind, wissen viele Menschen nicht, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen.

Die Beerdigung zu organisieren und zu planen war eine weitere Herausforderung. Wir waren sehr froh um die Hilfe des kompetenten und emphatischen Bestatters. Wir schrieben einen Brief und legten diesen und die gestrickten Pötschle in die Urne. Drei Wochen später fand die Urnenbeisetzung im Familienkreis am Friedhof in unserer Gemeinde statt. Wir hatten Angst vor diesem Tag, konnten am Abend aber auf einen schönen Tag zurückblicken. Seit diesem Tag gehören tägliche Grabbesuche zu meinem Alltag. Wir sind sehr froh, dass wir das Grab in der Nähe haben und wir einen Ort zum Trauern haben.


Ich konnte es kaum erwarten die Fotos zu sehen, als das Paket vom Verein VergissMichNicht – Sternenkinderfotografie ankam. Obwohl unsere Kinder nur kurz auf dieser Erde waren, habe ich viele wertvolle Erinnerungen von der Schwangerschaft, der Geburt und der Zeit danach - und daraus ist ein ganzes Fotoalbum entstanden. Auch jetzt kommen immer wieder einmal neue Fotos dazu.

In der Zeit danach hatte ich viele schöne Begegnungen und Gespräche. Sehr viel Besuch von lieben Menschen. Der Küchentisch war voll mit Geschenken zur Erinnerung an unsere Kinder. Ich bin von Anfang an sehr offen mit der Thematik
umgegangen. Darüber sprechen tat mir sehr gut und es gibt auch heute nichts Schöneres als von unseren Kindern zu erzählen.

Am schlimmsten war es für mich, wenn gut bekannte Menschen so taten, als wäre nichts gewesen.

Einige Frauen trauten sich mit mir über ihren Verlust zu sprechen, von dem sonst niemand etwas weiß. Neben ganz, ganz vielen schönen Momenten gab es auch nicht so schöne. Da Schwangerschaftsverluste immer noch ein riesiges Tabuthema in unsere Gesellschaft sind, wissen viele Menschen nicht, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Aber totschweigen ist nicht die Lösung! Am schlimmsten war es für mich, wenn gut bekannte Menschen so taten, als wäre nichts gewesen. Solche
Situationen konnte ich nur schwer aushalten.


Zwei Monate später hatten wir Befundbesprechung im Krankenhaus. Eine unbemerkte Infektion war der Auslöser für die Geburt.

Im Oktober musste ich wieder arbeiten gehen. Ich begann mit einem neuen Job. Viele neuen Infos, viel lernen, jeden Abend fix und fertig. Es blieb nur noch wenig Zeit zum Trauern und immer wieder dachte ich daran, dass ich jetzt eigentlich 2 Babys hätte und nicht am Arbeiten sein sollte. Die dunkle Zeit bis ins neue Jahr war sehr hart.

Mir kommt es so vor, als ob ich erst jetzt richtig realisiere, was passiert ist. Der Geburtstermin, Weihnachten, … Termine, die ich mir ganz anders vorgestellt habe. Wir fragen uns so oft, wie es jetzt mit unseren Kindern wäre, was sie alles schon könnten und wie sie wohl aussehen würde.

Ich merke, dass es mit der Zeit leichter wird, das Leben aber nicht mehr so ist, wie es war. Ich bin dankbar, dass meine Kinder mich als Mama ausgesucht haben und mich zu einem anderen Menschen gemacht haben. Sie haben mir gezeigt, was wirklich zählt im Leben.

2407002 KHDO 152 Copyright@Artofphotography At
© Ingo Peter